Lesetipp: Das Magazin Rottaler Gsichter
Heimatgeschichten aus dem Rottal von Eva Hörhammer
In „Rottaler Gsichter“ schreibt die 36-jährige Redakteurin und Soziologin über die Menschen ihrer niederbayerischen Heimat. Mit vielen persönlichen Geschichten lässt Eva Hörhammer die Region Rottal lebendig werden. Über dieses spannende und ungewöhnliche Storytelling-Format wollte ich mehr erfahren. [von Susanne Wagner]
Zum Interview verabrede ich mich mit Eva Hörhammer in Pfarrkirchen. Als ich das kleine Lazy Cat Café betrete, steht eine großgewachsene Frau am Tresen. Wir erkennen uns gleich von den Fotos auf unseren Webseiten. Und wie es in Bayern leicht passiert, wenn man sich sympathisch ist, sind wir schnell beim Du. Ich merke bald, dass Eva nicht nur gut erzählen kann, sondern auch eine ausgezeichnete Zuhörerin ist. Ich kann verstehen, wenn ihr Menschen gerne und ausführlich aus ihrem Leben erzählen.
Für die Rottaler Gsichter im Internet portraitiert Eva seit 2016 Privatleute, Künstler und Unternehmer. Wichtig ist ihr, Dingen Raum zu geben, sie entstehen zu lassen. Deshalb plant Eva bewusst wenig und beobachtet viel. Als Ein-Frau-Unternehmen kümmert sie sich um Redaktion, Anzeigen, Vertrieb – und das Marketing. Seit Juli 2019 ist das erste Printmagazin der Rottaler Gsichter auf dem Markt. Eva erzählt mir, wie es dazu kam und was sie vor hat.
Eva, Du schreibst die „Rottaler Gsichter“ seit Juli 2016. Wie kam es dazu?
Eva Hörhammer: Was mich motiviert hat, waren mehrere Faktoren. Ich wollte Beruf und Familie vereinen und am Nachmittag Zeit für mein Kind haben. Mit diesem Gedanken habe ich mich selbstständig gemacht. Die erste Motivation für das Online-Format war, dass ich etwas mache, das mir Freude bereitet: Schreiben und Fotografieren. Damals wusste ich schon, dass es zurück in die Heimat gehen soll, ins Rottal – und da entstanden die Rottaler Gsichter. Praktischerweise vereint das auch meine Kompetenzen: Ich bin diplomierte Soziologin und Redakteurin bin ich auch.
Haben sich die Rottaler Gsichter so entwickelt, wie Du es dir gewünscht hast?
EH: Auf jeden Fall. Und es hat sich auch irgendwie von alleine entwickelt. Das war für mich ein Zeichen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich musste nie Klinkenputzen – ganz am Anfang im ersten halben Jahr vielleicht ein wenig. Aber es hat sich schnell herumgesprochen und wurde etwas ganz Organisches. Nach drei Jahren gab es jetzt das erste Printprodukt. Es war schon immer mein Ziel, mal in Druck zu gehen. Aber wegen des Kostenaufwands habe ich mich lange nicht damit beschäftigt. Deshalb habe ich mich auch erst für das Online-Medium entschieden.
„Ich sehe mich weniger als Journalistin, sondern mehr als Autorin. Ich muss nicht kritisch sein und berichten. Ich schreibe eine Geschichte, die insoweit wahr ist, wie sie derjenige erzählt. “
Wie kommst Du zu Deinen Interview-Partnern?
EH: Sehr oft melden sich die Leute tatsächlich bei mir. Und wenn sie das nicht tun, ergibt sich das in einem Gespräch, wenn ich jemand Neues kennenlerne. Irgendwann frage ich: „Und, magst a Gsicht wern?“ Und viele sagen dann ja. Aber wie gesagt, kommen die meisten Leute auf mich zu und erzählen dann: „Ich habe das und das gelesen. Den kenne ich. Das hat mich interessiert.“ Und „das möchte ich auch von mir haben, weil Du schreibst so anschaulich und schön.“ Jetzt sind es rund 60 Portraitierte.
Wie gehst Du an ein Interview heran?
EH: Ich gehe ganz frei und intuitiv ran und bereite keine Fragen vor. Am Anfang habe ich auch nicht im Kopf, wie es am Ende ausschauen wird. Wenn sich zum Beispiel ein Holzbildhauer, ein Maler oder jemand mit einem anderen Beruf meldet, wo es sich gut beobachten lässt, dann besuche ich ihn in der Arbeit. Während ich zuschaue, unterhalte ich mich nebenbei mit ihm oder ihr und baue die Geschichte ganz natürlich auf. Ich erfinde nichts, es gibt keine gestellte Rahmenhandlung oder ähnliches. Ich schreibe alles mit und habe inzwischen über zehn dicke Notizbücher.
Was macht in Deinen Augen die Geschichten über die Rottaler für andere Menschen interessant?
EH: Ich denke, interessant für die anderen Leute ist, dass sie sehen, wie menschlich jeder ist. Dass niemand eine glatte Lebensgeschichte hat. Und dass sie tiefere Einblicke bekommen. Dass jeder irgendwo mal den ein oder anderen Stolperstein gehabt hat oder einen Beruf gelernt hat, ihn aber nicht ewig behält und dann was ganz anderes macht. Jeder hat irgendwann mal eine Krise durchlebt, egal wie alt er ist. Genau das, glaube ich, interessiert die Leute. Auch, weil oft vieles so perfekt scheint – gerade in den Sozialen Medien, was meistens aber nicht der Fall ist. Außerdem lernen die Leser viele verschiedene Berufe kennen. Es steht immer ein Mensch hinter den Geschichten und es kommen immer interessante Momente zustande, egal wer mein Gesprächspartner ist und was er macht.
Warum machen die Leute bei den Rottaler Gsichtern mit?
EH: Die Leute machen manchmal einfach aus Neugier mit. Vielleicht auch weil sie sich ein Feedback wünschen. Ich porträtiere Privatleute und Unternehmen. Viele haben was Neues angefangen und möchten auch bekannter werden in der Region. Das Format bekommen sie woanders nicht. Die Texte sind fürs Internet zwar recht lang, aber die Geschichten kommen gut an.
Wie gewinnst Du ihr Vertrauen?
EH: Selten, dass ich jemanden hervorlocken müsste. Manchmal sagen meine Gesprächspartner zwar, sie seien irgendwie aufgeregt, weil es eben um sie geht. Aber die meisten genießen es recht schnell, dass es wirklich mal nur um sie geht und dass ich ihnen zuhöre. Im Durchschnitt bin ich zwei Stunden bei einem Gespräch. Am längsten war ich einmal von vormittags bis abends bei einem älteren Maler. Der hat es auch sehr genossen, dass mal jemand da ist. Mit Elisabeth Bachmeier aus „Das historische Portrait“ habe ich natürlich ebenfalls länger gesprochen. Wir sind in Verbindung geblieben und für eine andere Dame aus den Rottaler Gsichtern habe ich sogar eine Biografie geschrieben. Mit vielen bleibe ich in Kontakt oder es entstehen sogar Freundschaften daraus. Viel geht dabei zum Beispiel über Facebook.
„Die Menschen erzählen mir sehr viel, auch sehr persönliche Dinge. Sie reden ohne Blatt vorm Mund. Meistens wird irgendwann geweint. Im Gespräch oder danach, weil es sie sehr gerührt hat. “
Hast Du auch mal eine Geschichte nicht geschrieben?
EH: Nein das habe ich noch nicht. Wenn ich jemanden interviewt habe, ist bisher immer ein Beitrag daraus entstanden. Im Moment habe ich noch eine Geschichte auf Lager, die mich nicht so recht freut, aber die packe ich auch noch an. Aber ich habe tatsächlich schon Anfragen abgelehnt; und Politik mache ich nicht.
Wie ist die Leserstruktur?
EH: Mit Bestimmtheit kann ich es natürlich nicht sagen. Die Leser kommen hauptsächlich aus der Region. Meine Online-Leser sind in der Regel eher jünger. Insgesamt ist es recht durchmischt von 20 bis 60 plus. Nach dem Erscheinen der SZ-Meldung kurz nach der Veröffentlichung der ersten Printausgabe, habe ich schnell einige neue Leser für das Printmagazin gewonnen. Sehr nett war ein Brief von einer älteren Dame, die nichts mit dem Internet zu tun hat. Sie wollte das Printmagazin gleich abonnieren und sie hat mir obendrein ihre Geschichte dazu geschrieben.
„Ich war schon überrascht, wie viele Menschen aus der Region – und inzwischen auch darüber hinaus – zu meinen Lesern gehören. “
Wie sind Deine Erfahrungen mit Deiner Philosophie, dass „sich Gutes auf natürliche Art und Weise verbreitet“? Welche Wege funktionieren besonders gut?
EH: Ich habe mich mit den Rottaler Gsichtern bewusst geografisch eingeschränkt und setze auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Ich lerne immer mehr Leute kennen, die sich teilweise untereinander auch wieder kennen und die bereits Leser der Rottaler Gsichter sind. Manchmal denke ich auch: „Der müsste mal von dem was hören und die müsste ich zusammenbringen.“ Dann entstehen ganz natürlich neue Verbindungen. Ich mache auch bewusst keine Werbung. Wenn es Neuigkeiten zu den Rottaler Gsichtern gibt, poste ich eine Nachricht in den Sozialen Medien. Auf Facebook erzähle ich zum Beispiel über den Entstehungsprozess, poste kleine Vorschauen und so weiter. Meine Devise ist und bleibt also, dass sich Gutes natürlich verbreitet.
Wie viele Beiträge stellst Du pro Jahr online? Könnten es auch mehr sein?
EH: Im Moment lasten mich die etwa zwanzig Geschichten und einige Aufträge im PR-Bereich aus. Und natürlich nicht zu vergessen, das Printmagazin.
Gibt es für Dich Unterschiede in der Ausrichtung zwischen dem Online- und Printmagazin?
EH: Die Erzählweise unterscheidet sich bei mir nicht. Im Gegensatz zu Online muss ich bei Print natürlich mehr auf die Textlänge achten. Jeder bekommt im Schnitt zehn Seiten – und zwar jeder, ob bezahlt oder nicht. Für das Printmagazin wähle ich vielleicht inhaltlich noch stärker aus.
Ich plane mit exklusiven Printbeiträgen. Den ersten – quasi – Leitartikel schrieb ich über den Musiker Huy Colbinger. Von anderen Leuten gab es teilweise schon Beiträge auf meiner Website, aber ich habe alle noch einmal besucht und für die Printausgabe sind eigene Geschichten entstanden. Auf Wunsch stelle ich Printbeiträge von Kunden später online. Die privaten Artikel bleiben im Printmagazin.
Manche Formate gibt es nur in der Printausgabe wie zum Beispiel die „Fünf Lieblingsorte“ im ersten Magazin, im zweiten heißt es dann „Mein Dorf“. Außerdem habe ich in der ersten Ausgabe viel über die Entstehungsgeschichte der Rottaler Gsichter geschrieben. Im Moment experimentiere ich noch, ganz ohne Denkverbote.
Mit der Geschichten-Sammlung schaffst Du ein lebendiges Zeitzeugnis. Hast Du bei Deiner Arbeit auch zukünftige Generationen und die Historiker im Blick?
EH: Das hatte ich anfangs nicht im Blick. Es ist mir aber während der Arbeit an den Rottaler Gsichtern bewusst geworden. Vor allem, als mir die älteren Menschen etwas erzählten, wurde mir schnell klar: Wenn sie jetzt niemand fragt, dann fragt sie keiner mehr. Diese Gespräche transportieren viel mehr Nähe, als geschichtliche Fakten es könnten. Deshalb werde ich auch das Format „Das historische Portrait“ im Printmagazin beibehalten.
Was steckt hinter dem Format „Rottaler Gsichter und Du“?
EH: Die Veranstaltung ist nicht profitorientiert, sondern ich lade einfach interessierte Menschen ein, die sich hier miteinander austauschen können. Das erste Treffen fand relativ spontan statt. Der Singer & Songwriter Huey Colbinger hat gesagt: „Es ist jetzt schön und recht, dass die Leute gelesen haben, wer ich bin. Aber sie haben mich noch nicht erlebt.“ Das war für mich der Anlass, zu überlegen, wie ich verschiedene Gsichter miteinander kombinieren und einem Publikum vorstellen könnte. „Rottaler Gsichter und Du“ fand vor kurzem auf dem Künstlerhof von Bianca Obermaier statt, die auch im nächsten Printmagazin erscheint. Huey Colbinger hat ein Konzert im Stadl gegeben und wir hatten alle viel Spaß zusammen.
Zukünftig möchte ich „Rottaler Gsichter und Du“ mehrmals im Jahr veranstalten. Auch eine Lesung wäre eine schöne Sache. Unter den Rottaler Gsichtern gibt es ein paar Autoren, die vielleicht dafür in Frage kämen. Mal sehen, was sich so entwickelt …
Infos zum Magazin
Rottaler Gsichter
Jedes Gsicht hod a Gschicht
Von Eva Hörhammer
Gestaltung von Jana Schönhals
No. 1 ist im Juli 2019 erschienen
Vier Ausgaben pro Jahr
Auflage 1000 Stück
86 Seiten, Farbe, DIN A4, Deutsch
4,90 Euro
Beim Interview hieß Eva Müller noch „Eva Hörhammer“.
Noch etwas hat sich seitdem verändert: Vom Printmagazin gibt es neun Ausgaben – die letzte erschien im Sommer 2022. Digital gehen die Rottaler Gsichter weiter:
www.rottalergsichter.de
Das Magazin war bei einigen Verkaufsstellen im Rottal oder per Bestellung unter servus@rottaltergsichter.de beziehungsweise www.rottalergsichter.de erhältlich. Am 1. Oktober 2019 erschien die zweite und am 1. Dezember 2019 die dritte Ausgabe der Rottaler Gsichter – und im Sommer 2022 die neunte und letzte Ausgabe. Es können auch jederzeit ältere Ausgaben als Einzelhefte bestellt werden (solange der Vorrat reicht).
Wer im Printmagazin für sein Unternehmen werben wollte, konnte das in Form einer Anzeige (Umschlagseiten 2 – 4), einer Produktplazierung auf der Geschenkeseite oder eines Beitrags im Heft.
Natürlich besteht nach wie vor die Möglichkeit, für sein Unternehmen von Eva Hörhammer einen Online-Beitrag auf Rottaler Gsichter zu erhalten. Schreiben Sie einfach an: servus@rottaltergsichter.de
Wo und was ist das Rottal?
Die Karte zeigt den Verlauf der Rott: Der Fluss entspringt bei Wurmsham und mündet nach 111 Kilometern bei Neuhaus in den Inn. Die erweiterte Region rund um den Fluss nennt sich Rottal.