Reclam – Marketing für Literaturklassiker
Reclam rockt crossmedial
Die Schöpfer der gelben „Reclamheftchen“ aus der traditionsreichen Universal-Bibliothek beeindrucken mit ihrer modernen Nutzung der digitalen Kanäle und gelungener Kommunikation. [von Florian Wagner]
„So ein bißchen Bildung ziert den ganzen Menschen“, wusste schon Heinrich Heine. Das bayerische Schulsystem folgt offenbar diesem Ansatz des großen deutschen Dichters. Es verordnet die gelbe Lektüre im handlichen Pocketformat seit unzähligen Schülergenerationen als Pflichtlektüre – meinen Mitschülern und mir eingeschlossen.
Zwischen „gelber Gefahr“ und großartigen Geschichten
Zu meinen bleibenden Erinnerungen an die Deutschstunden in den 80er Jahren gehören die gemeinsamen Lesungen (alt)ehrwürdiger Literaturklassiker. Droste-Hülshoff, Goethe, Heine, Keller, Lessing, Nestroy, Schiller – wie viele Bände aus der Reclam’schen Universal-Bibliothek mögen es gewesen sein? Schwer zu sagen, wahrscheinlich kommt eine niedrige dreistellige Summe zusammen. Klingt viel, ist aber nur ein kleiner Ausschnitt. Diese älteste deutsche Taschenbuchreihe umfasst circa 3.500 lieferbare Titel – unglaublich.
Jedenfalls fiel damals im Klassenzimmer die gefühlte Qualität des Bildungserlebnisses sehr unterschiedlich aus. Das hatte weniger mit dem Lesestoff, als vielmehr mit der Motivation der Vorleser und des Publikums zu tun. Rückblickend und mit genug Abstand halte ich es deshalb für nicht abwegig, dass meine heutige Begeisterung für gute Geschichten viel mit den kleinen gelben Bänden im Format 9,6 x 14,8 cm zu tun hat.
Wiederentdeckt
„Von wegen früher war alles besser“. Neulich, beim Blättern durch verschiedene Magazine weckte diese Überschrift auf gelbem Grund meine Aufmerksamkeit. Bei genauerer Betrachtung entpuppte sich Reclam als Absender dieser Botschaft. Längst versteckten sich meine Reclamheftchen zwischen den „echten“, ausgewachsenen Büchern, ich hatte sie schlicht vergessen. Und jetzt erfuhr ich aus dieser Anzeige, dass Reclam-Klassiker ab sofort auf den Streamingportalen Deezer, Napster und Spotify zu finden sind. Durch eine Kooperation mit Sony Music wurden die meistgelesenen Klassiker zum 150-jährigen Jubiläum der Universal-Bibliothek im Jahr 2017 auch als Hörbuch aufgelegt. Natürlich besitzt der Verlag auch eine Website. Hier finden die Besucher das komplette Verlagsprogramm, spezielle Einstiege für Lehrer und Händler und nicht zuletzt einen Shop. Sicher ein wichtiger und wachsender Vertriebsweg – neben Online-Händlern wie Amazon und dem stationären Buchhandel. Und hier gehts zu reclam-hoerbuecher.
Respekt
Die Erkundung der verschiedenen Kanäle des Reclam Verlags und seiner Partner hat mich wirklich beeindruckt. Nicht nur bei der Verbreitung der Inhalte nutzen sie die Möglichkeiten der Digitalisierung konsequent. Auch die Kommunikation arbeitet souverän, originell bis selbstironisch mit dem Image, das sich bei vielen sicher vor allem an der Schullektüre festmacht. Diese Bekanntheit nutzt der Verlag geschickt, um auch andere Buchreihen des Hauses zu promoten. Das kommt immer sympathisch und glücklicherweise nie platt daher. Facebook, Google+ und Twitter werden intensiv bespielt und verdienen mehr Follower. Pinterest existiert, wird aber eher vernachlässigt, und hat dementsprechend kaum Reichweite. Auf YouTube könnte für meinen Geschmack etwas mehr passieren. Mehr Emotion und Menschen täten dem Kanal sicher gut. Gefallen hat mir die Idee „100 Seiten für 100 Minuten“. In dieser Reihe wird Wissen zu verschiedensten Themen im kultigen Reclamheftchen-Format unterhaltsam aufbereitet. Bitte mehr davon. Facebook, Instagram, YouTube – die Kanäle von Reclam und des Partners Sony Music zeigen auch online die Stärken des Corporate-Designs – insbesondere die Designelemente der Universal-Bibliothek sind sehr prägnant. In puncto Gestaltung ist Reclam traditionell stark – reduziert, elegant und funktional. Kein Zufall, bedenkt man, dass über die Jahre Größen des deutschen Grafik-Designs wie Willy Fleckhaus oder Friedrich Forssman den Publikationen ihren Stempel aufdrückten.
Fazit
Es freut mich zu sehen, wenn eine vor allem auf klassische Werte abonnierte Institution wie Reclam in der Lage ist, klug mit der Zeit zu gehen. Dabei bleibt der 1828 gegründete Verlag seinen Wurzeln treu: Er biedert sich nicht an, sondern kommuniziert intelligent, mutig und auf Augenhöhe – insbesondere mit jüngeren Lesern. Große Klassiker werden respektvoll vom Sockel geholt und damit herrlich nahbar. Ein Höhepunkt in diesem Zusammenhang sind die Spots der Constantin Film zu den drei Teilen von „ Fack ju Göthe“. Bewaffnet mit dem entsprechenden Reclamheftchen erklärt Chantal unter anderem „Faust – der Tragödie Erster Teil“ von Johann Wolfgang von Goethe. Interessant zu wissen: Dieses Werk war die erste Veröffentlichung der Universal-Bibliothek im Jahr 1867. Auch „Sommers Weltliteratur to go“, präsentiert von Reclam, nimmt sich diesen und viele andere Klassiker auf frappierend einfach produzierte und dabei sehr geistreiche Weise vor. Dafür gab es im Juni 2018 einen GRIMME ONLINE AWARD in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“.
Auf der der Leipziger Buchmesse 2018 haben wir versucht mit Reclam ins Gespräch zu kommen. Leider wurden wir überraschend barsch an die Pressestelle verwiesen. Das ändert natürlich nichts an den oben beschriebenen Eindrücken. Aber die persönliche Kommunikation hat, zumindest in unserem Fall, deutlich Luft nach oben.
Kontakt Reclam
Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
Siemensstr. 32
71254 Ditzingen
www.reclam.de
www.reclam-hoerbuecher.de