|W72|

View Original

Zirkusleben – Beyond Starlight

Petra Arnold fotografierte zwölf Jahre lang die Zirkusfamilie Fischer abseits der Manege

Vor drei Jahren sprach ich das erste Mal mit der Mannheimer Fotografin über ihr Projekt. Jetzt ist ihr Buch „Beyond Starlight“ erschienen. Petra Arnold erzählt mir, wie es entstand und auch wie Corona die Situation der Familie Fischer mit ihrem Wanderzirkus verändert hat. [von Susanne Wagner]

Während ihres Langzeitprojekts besuchte Petra Arnold den Zirkus Starlight bei seinen Gastspielen und im Sommer- oder Winterquartier. Dabei entstanden unzählige analoge Schwarzweißbilder. Der Mannheimer Fotografin ging es nicht um den schönen Schein, sondern um das wirkliche Sein als Zirkusfamilie. Sie erlebte mit, wie die Kinder erwachsen wurden und sich die Zirkusfamilie Fischer stark verkleinerte.

Starkes Gestaltungskonzept und Gesamtkunstwerk

Alles ist so, wie es sich Petra Arnold vorgestellt hat – realisiert mit sehr viel Zeit, Mühe und Beharrlichkeit – und ein bisschen Fügung. Ein besonderes Fotobuch, wie ich finde, mit stimmungsvollen Bildern und sehr schönen Texten. Das liebevoll gestaltete Fotobuch „Beyond Starlight“ beginnt bereits mit dem silbernen Schuber seine Geschichte. Durch die Löcher im Schuber glitzert der schwarze Leineneinband. Ich erinnere mich dabei an meine Kindheit, wie ich durch die Zeltschlitze des kleinen Wanderzirkus’ in unserem Dorf einen Funken Manegenzauber erhaschen wollte. Klappt man den Buchdeckel auf, eröffnen purpurne Vorsatzpapiere den Weg zum Innenleben mit handwerklich hochwertig gedruckten und inhaltlich intimen Schwarzweißbildern.

Petra Arnold und ich haben uns via Video-Call über ihr Projekt „Beyond Starlight“ unterhalten.

6 Fragen an Petra Arnold

Wie haben Sie Familie Fischer kennengelernt und wie hat sich die Beziehung entwickelt?

Petra Arnold: Mich ziehen individuelle, alternative Lebensweisen sehr an. Dann habe ich den Zirkus in meiner Nähe entdeckt, wie er mit seinem schönen Zirkuszelt auf dem Berg stand. Mich hat gleich interessiert, was hinter dem bunten Zirkuszelt passiert. Was treibt diese Menschen an?

Ich schleiche mich an meine Fotoprojekte gerne aus der Ferne an und ziehe dann immer engere Kreise. Beim ersten Gespräch mit Familie Fischer – dem Paar August Bügler und Karin Fischer – hatte ich auch meine Kamera noch nicht dabei. Mit jedem Tag, den ich dort verbracht habe, hat sich mehr Vertrauen aufgebaut.

In der Kennenlernphase gab es natürlich noch mehr Distanz zwischen der Familie und mir. Aber das war sehr gut, weil ich viele unbeobachtete Momente einfangen konnte. Je näher wir uns kennengelernt haben, umso häufiger wollten sie vor der Kamera posieren.


Wann hat sich herauskristallisiert, dass es ein Langzeitprojekt und ein Buch wird?

P.A.: Die ursprüngliche Idee war, nach zwei, drei Jahren ein Buch zu machen. Aber damals war die Finanzierung einfach nicht gegeben. Im Nachhinein bin ich wirklich dankbar, sonst hätte ich diese gesamte Dokumentation über zwölf Jahre gar nicht gemacht. Durch diese lange Zeit hat es erst die richtige Essenz bekommen.

Und schließlich habe ich es geschafft mit einem Mix aus Crowdfunding, lokalen Teilförderungen, sehr viel Eigenleistung in der Buchproduktion – die analogen Bilder mussten ja auch noch digitalisiert werden –, Unterstützung mit Sachspenden und Handwerksleistungen. Zum Beispiel erhielt ich das Leinengewebe für den Einband teilweise umsonst oder vergünstigt. Und die schönen Buchschuber wurden komplett gesponsort.


Welche Entwicklungen der Zirkusfamilie dokumentieren die Fotos?

P.A.: Jahr für Jahr habe ich gemerkt, dass sich da was ändert im Lebensmodell Zirkus. Schon am Anfang war ersichtlich, dass Zirkus an sich nicht mehr so eine lange Lebensdauer hat. Neue Unterhaltungsformen in diesem Bereich wie Palazzo, Cirque du Soleil oder Flic Flac tragen zur Verdrängung der traditionellen Zirkusbetriebe bei. Auch der Tierschutz hat immer mehr Einfluss genommen und exotische Arten mussten an Zoos oder ähnliches abgegeben werden. 2013 hat August seine Tiger verabschiedet und 2014 hat der Zirkus durch einen Blitzeinschlag 19 Tiere verloren. Irgendwann waren es nur noch, glaube ich, zwei Ponies, zwei Pferde, zwei Lamas und ein paar Hunde. Ganz massiv haben sich die Freizeitinteressen der Kinder verändert. Da ist heute die Spielekonsole attraktiver, als zum Zirkus zu gehen.

Neben dem allgemeinen Wandel in der Branche, habe ich auch den Wandel in der Familie direkt beobachtet. Am Anfang waren noch alle aus der Familie im Zirkus aktiv. Aber irgendwann konnte der Zirkus nicht mehr alle ernähren und die Großfamilie ist nach und nach auseinandergebröckelt. August und Karin haben zehn Töchter, zwei Söhne und jede Menge Enkelkinder.

Eines meiner ersten Bilder zeigt August mit seiner 7-jährigen Tochter Kenya. Im Buch steht dem ein Bild von August und Kenya zehn Jahre später gegenüber. 2018/2019 habe ich bewußt einige der früheren Motive wiederholt um mit der Gegenüberstellung den Wandel deutlich zu machen.


Wie geht es der Familie heute?

P.A.: Die Kinder von August und Karin haben inzwischen ihr eigenes Leben, sind teilweise sesshaft geworden. Sie kommen mit den Enkeln abwechselnd zu Besuch. Aber das Zirkusleben hat alle Kinder und somit ihre Partner- und Berufswahl geprägt. Viele beschäftigen sich mit der Schaustellerei oder Tieren. Aber für August und Karin gibt es keine andere Welt. Trotz der harten Arbeit, halten sie mit drei Familienmitgliedern und zwei Helfern am Zirkus fest.


Welchen Einfluss hatte das Corona-Jahr 2020 auf das Buch und auf die Zirkusfamilie?

P.A.: Mit der Kurzarbeit, verzögerten Informationen, Lieferungen und so weiter hat sich die Produktion des Buchs etwas nach hinten verschoben. Dadurch hatte ich aber länger Zeit, Details umzusetzen. Die Journalistin, die den Text geschrieben hat, interviewte die Zirkusfamilie Anfang 2020. Da dachte der Zirkus noch daran, im April wieder auf Wanderschaft zu gehen. Kurz vor Drucklegung haben wir entschieden, den Text um den Aspekt Corona zu erweitern.

Der Einfluss auf den Zirkus Starlight ist immens. Über ein Jahr sitzen sie schon im selben Winterquartier. Soweit es geht, werden sie finanziell von ihren Kindern unterstützt. August und Karin sind genügsam und für kleine Dinge dankbar. Sie bleiben zuversichtlich.


Wie geht es bei Ihnen quasi „beyond Projekt Starlight“ weiter?

P.A.: Ich bin dabei, weitere Ausstellungen für das Fotoprojekt zu organisieren. Leider konnte die Ausstellung im Mannheimer Kunstverein nur online besucht werden. Außerdem würde ich gerne eine Spendenaktion für den Zirkus auf die Beine stellen. Da bin ich für jede Unterstützung dankbar – ob mit Know-how, Organisation oder finanziell.


Petra Arnold hat insgesamt vier verschiedene Editionen von „Beyond Starlight“ im Angebot.

Die Fotografin

Petra Arnold, geboren 1966 in Heidelberg, lebt im Odenwald und hat ihren beruflichen Mittelpunkt in Mannheim. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Portraitfotografie, Reportagefotografie und dem Fotojournalismus. Petra Arnolds Portfolio enthält sowohl künstlerische Arbeiten als auch Auftragsproduktionen. In ihrer Kunst erarbeitet sie konzeptionelle Serien. www.petraarnold.com

Das Buch

Beyond Starlight
Fotografien, Konzept: Petra Arnold
Text: Ute Maag
Gestaltung: Alexander Münch
Verlag: DCV Books/Dr. Cantz’sche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Esslingen
Veröffentlicht im Dezember 2020, Hardcover in Leinen mit Schuber
20 x 26,5 cm, 160 Seiten, über 150 Abbildungen
Deutsch, Englisch
ISBN 978-3-96912-001-9
39,90 Euro

Bestellen Sie das Buch direkt bei der Fotografin Petra Arnold:

Black Magic (Umschlag schwarzes Leinen) im Schuber für 39,90 Euro
Silver (Umschlag silber-farbenes Leinen) im Schuber für 39,90 Euro

Mehr Details und zwei sehr schöne Sammler-Editionen gibt es auf der Website von Petra Arnold: www.petraarnold.com


Ich möchte am Ende dieses Beitrags noch die Unterstützer des Buchprojekts erwähnen, weil ich es wichtig finde, dass so wunderbare Projekte realisiert werden können. Deshalb hier auch mein Dank an:


Verwandte Themen:

See this content in the original post