Erlebnis Kuratorenführung: 100 Jahre Leica Fotografie
/Auf einer spannenden Reise durch „Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie“ mit Hans-Michael Koetzle
Ich finde Ausstellungsführungen für neugierige Menschen wie mich eine feine Sache. Man trifft dabei auf Guides, die ihren Text gewissenhaft auswendig gelernt haben ebenso, wie auf Kenner, die ihr Wissen souverän unter die Leute bringen. [von Susanne Wagner]
Aber im Allgemeinen bekommt man solide historische Fakten, Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Erläuterungen zu Ereignissen oder Kunstwerken und anderes Grundwissen vermittelt. Audioguides sind natürlich eine weitere Option, aber oft läuft man dann blind und taub für die Mitmenschen, wie ferngesteuert durch die Räume. Egal, ob man sich für die persönliche oder die technikgestützte Variante entscheidet: Kuratorenführungen können trotzdem noch viel mehr bieten. Zumindest wenn sie so gekonnt und fesselnd ablaufen wie die Führungen von Hans-Michael Koetzle, der begeisterten Besuchern seine Ausstellung Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie näher brachte.
Die Ausstellung
Ich hatte das Glück in den Genuss einer solchen Führung zu kommen. Ort des Ereignisses war das Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern, die Münchener Station dieser europaweiten Wanderausstellung, die im Jubiläumsjahr 2015 in den Hamburger Deichtorhallen Premiere feierte.
Was das Konzept besonders macht
Hans-Michael Koetzle bietet seinen Gästen die wunderbare Chance, die Ausstellung aus der Perspektive des Ausstellungsmachers zu erleben. Für mich ein wirklich erhellender Blick hinter die Kulissen mit konkreten Details zur Konzeption, Planung und Organisation eines solchen Projekts. So erfährt man anhand lebendiger Beispiele wie schwierig es sein kann, historische Fototechnik, Fotografien und Publikationen in aller Welt zusammenzutragen und im Rahmen einer solchen Ausstellung quer durch Europa zu schicken. Auch die Herausforderung die wohl überlegte Inszenierung den sehr unterschiedlichen Ausstellungsorten anzupassen, beschreibt der erfahrene Kurator sehr anschaulich. Garniert werden diese Erläuterungen mit unterhaltsamen Anekdoten über die Begegnungen und intensiven Diskussionen mit Fotografen, Sammlern und Veranstaltern, die er oft schon seit vielen Jahren kennt, schätzt und begleitet. Dazu bietet die Führung fundierte Einblicke in die Entstehung einzelner Aufnahmen sowie Wissenswertes und Erstaunliches zur Entwicklungsgeschichte der Leica Kameras. Und natürlich kommen auch die wichtigen Fakten nicht zu kurz, die eine klassische Führung ausmachen.
Fundierte Informationen und beste Unterhaltung
Das alles präsentiert Hans-Michael Koetzle in einem höchst unterhaltsamen Plauderton. Bei mir kam in keiner der überaus kurzweiligen 120 Minuten das Gefühl auf, der Kurator würde einen einstudierten Monolog routiniert abspulen. Ganz im Gegenteil: Ich hatte den Eindruck, einen absoluten Kenner zu erleben, der nur so sprudelt und dabei dennoch einer klaren Linie folgt. Ein charmanter Insider, der mit ehrlicher Begeisterung und viel Empathie sein umfangreiches Wissen und interessante persönliche Erlebnisse teilt. Zahlreiche Erzählfäden ergeben sich spontan aus der Situation und dem Dialog mit seinem Publikum. Das macht jeden seiner Aufritte zu einem einmaligen Ereignis. Kein Wunder, dass er bereits Fans hat, die an seinen Führungen sogar mehrmals teilnehmen.
Ausstellungstipp: Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie
Die Ausstellung erzählt anhand bekannter und unbekannter Aufnahmen die Geschichte der Kleinbildfotografie. Im Zentrum steht die Frage, wie die Erfindung des Leica Kamerasystems die Entwicklung der Fotografie in den vergangenen 100 Jahren geprägt hat.
Am 4. Juni 2016 begleiteten wir den Kurator im Münchener Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung durch die Austellung „Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie“.
Die Ausstellung „Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie“ on Tour:
Belgien, Gent, vom 17. Juni bis zum 14. August in der Kunsthalle St.-Peters-Abtei
Infos dazu bei leica-camera.com
Nächste Station:
Porto/Portugal ab 1. Dezember 2016
Weitere geplante Stationen für Reisefreudige:
Ab Mai 2017 in Madrid und danach in Italien und Großbritannien (Genaueres ist noch nicht bekannt.)
Die Jubiläumsausstellung on Tour
Fast hätte ich die Münchener Station dieses Highlights verpasst. Es ist der vorletzte Tag der Ausstellung, die sehr kurzweilig zeigt, wie sich durch eine technische Erfindung der fotografische Blick auf die Welt verändert hat.
Der Kurator Hans-Michael Koetzle macht daraus keine Produktshow, sondern erzählt die Geschichte entlang von rund 550 Fotografien von über 140 Künstlern. Ihm ist eine besondere Ausstellung geglückt, die auch noch in anderen europäischen Städten zu sehen sein wird. Vielleicht ist das ja auch eine schöne Anregung für eine Reise …
Ausstellungen in Foyers von Behörden, Ministerien oder Firmenzentralen können mich normalerweise nicht locken. Ich habe leider die Erfahrung gemacht, dass einen häufig nicht viel mehr erwartet, als uninspirierte und spärliche Dekorationsversuche von Empfangsbereichen. Klar, die Hausherren erhoffen sich von solch einem Kulturengagement positive Imageeffekte. Aber der Mehrwert für Besucher bleibt letztendlich eher übersichtlich – selbst wenn klangvolle Namen und ambitionierte Konzepte angekündigt werden.
Ganz anders bei dieser Ausstellung im Münchener Kunstfoyer. Die Versicherungskammer Kulturstiftung hat hier einen vollwertigen Ausstellungsbereich geschaffen, der sich wirklich sehen lassen kann. Und auch das Gezeigte wird diesem Rahmen voll und ganz gerecht.
Die Erfindung der Leica verändert die Fotografie
Selbstverständlich gibt es historische Leica Kameras zu sehen: Den ersten Prototyp der Leica, den Oskar Barnack 1914 vollendete und die erste verkaufte Leica von 1925, die auch nach 90 Jahren einwandfrei funktioniert. Oskar Barnack definierte das Filmmaterial, das es bis heute im gleichen Format zu kaufen gibt – für analoge Kameras natürlich.
Doch im Zentrum der Ausstellung stehen die Fotografien, die sich durch die neue Kleinbildtechnik völlig verändert haben. Natürlich alle mit Leicas aufgenommen. Angefangen bei den ersten Bildern von Oskar Barnack, die rein dokumentarischen Charakter haben. Mit der Beweglichkeit der kleinen Kamera eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten für den Fotojournalismus – mittendrin und schnell am Auslöser bei Sportveranstaltungen, politischen Unruhen oder auf Reisen. Ereignisse werden mit der handlichen Leica Kamera ganz einfach in Bildserien dokumentiert und der authentische Schnappschuss wird als Beweisfoto herangezogen. Heute bekannte Fotografen wie Henri Cartier-Bresson, Robert Lebeck oder René Burri nutzen die Leica als Werkzeug für die Umsetzung ihrer künstlerischen Ideen.
100 Jahre Leica Schnappschuss
Die Schau führt chronologisch durch die Geschichte der Leica Fotografie. Neben den vielen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, auch aus jüngerer Zeit, lassen eindrucksvolle Farbfotos von Eggleston oder Bruce Gilden erkennen, wie die Fotografen neue Motive entdecken. Die frühen Aufnahmen werden in kleineren Formaten präsentiert – ganz den Originalen der Zeit entsprechend. Teilweise ist die Ausstellung auch mit Vintage-Prints bestückt. Es macht Spaß, die vielen Details zu entdecken. Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch die unbekannteren Fotografen z.B. aus Spanien und Portugal. Neben den Abzügen werden ebenfalls Zeitschriften und Bücher gezeigt – auch hier viele Raritäten, die der Kurator Hans-Michael Koetzle zusammengetragen hat.
Wenn Sie die Möglichkeit haben, die Ausstellung „Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie“ in Portugal, Spanien, Italien oder Großbritannien, zu besuchen, dann gönnen Sie sich dieses Erlebnis.
Ein Umfangreicher Begleitband ist im Kehrer Verlag (Heidelberg) erschienen:
564 Seiten, ca. 1200 Abbildungen, gebd., Ausgaben in Deutsch und Englisch, 98 Euro, ISBN 978-3-86828-523-9 (Englisch ISBN 978-3-86828-530-7), 2014.
Herausgeber: Hans-Michael Koetzle
Autoren: Alejandro Castellote, Anton Holzer, Bernd Weise, Christoph Schaden, Emília Tavares, Enrica Vigano, Franziska Mecklenburg, Gabriel Bauret, Hans-Michael Koetzle, Michael Ebert, Peter Hamilton, Rebekka Reuter, Thomas Honickel, Thomas Wiegand, Ulf Richter