TimeRide inszeniert Virtual Reality
/Eine Erlebniswelt rund um die VR-Brille
Hinter den virtuellen Zeitreisen von TimeRide steckt viel mehr als nur ein Film. Die VR-Erfahrung ist in eine spannende Gesamtinszenierung eingebettet und die Bruchstellen vor und nach der Brille sind gut verwoben. [von Susanne Wagner]
So beginnt das Zeitreise-Erlebnis lange vor der eigentlichen VR-Experience. Bei TimeRide München leuchten mir schon im Foyer raumhohe, begehbare Pfauenwagen entgegen und ich werde von Zeitreisebegleitern in blauer Uniform begrüßt. Im Interview erzählt Julian Herbig, PR & Communication Manager bei TimeRide, wie eine gut durchdachte Inszenierung das VR-Erlebnis verstärken und die Geschichte zusammenhalten kann.
Die Geschichte, die sich dann im VR-Film fortsetzt, hat für mich schon mit dem Betreten Ihrer Räumlichkeiten in München begonnen. Ich wurde richtig in die Erlebniswelt reingezogen. Was waren die Ideen der Inszenierung?
Julian Herbig: Bei TimeRide ist es unser Hauptziel, dass wir unseren Gästen einen emotionalen Zugang zur Geschichte ermöglichen. Damit sie wirklich in die Vergangenheit eintauchen können, werden die Besucher schon im Eingangsbereich langsam in diese Welt hineingeführt. Aufwendige Dekorationsbauten regen die Fantasie an und versetzen die Gäste in eine andere Zeit.
Ein kurzer Making-of-Film zeigt in einem eigenen Raum einen Blick hinter die Kulissen. Viele Besucher können sich gar nicht vorstellen, wie viele verschiedene Disziplinen bei einer TimeRide-Produktion mitwirken: Am Anfang steht die historische Recherche. Wir haben das Entwickler-Team, das diese Welt modelliert und animiert. Wir haben für TimeRide München sogar eine eigene Filmmusik, von Patrick Schmitz komponieren und sie dann von einem 60-köpfigen Orchester in Sofia einspielen lassen. Im Making-of bekommt man eine Idee davon, wie aufwendig diese Produktionen sind und auch, wie viel Liebe da letzten Endes in jedem TimeRide steckt.
Ein wichtiger Beitrag für die Atmosphäre sind Kulissenbauten wie zum Beispiel in München die alte Schloss-Bibliothek mit Geheimtür. Aber ebenso wichtig ist die zum Thema passende Kleidung unserer Tourguides, den sogenannten Zeitreisebegleitern.
„Der Zeitreisebegleiter ist ein bedeutendes Element bei allen TimeRides. Er ist derjenige, der – eben nicht nur über seine Kleidung –, sondern auch über die Interpretation seiner Rolle, das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein, verstärken kann. Er kann auch Fragen beantworten, Informationen in einen Kontext stellen und damit das Zeitreiseerlebnis abrunden.“
Wie viele verschiedene TimeRide-Erlebniswelten gibt es?
J.H.: Wir haben fünf TimeRide-Standorte in Deutschland, die alle individuell ausgestaltet sind: Der erste wurde in Köln eröffnet, dann folgte Dresden, Berlin, München und 2020 Frankfurt. Jeder dieser Standorte greift Charakteristisches aus der jeweiligen Epoche auf, damit man mit allen Sinnen in die Geschichte eintauchen kann.
Bei TimeRide München ist das Konzept, dass man im VR-Film über rund 7000 Jahre bayerische Geschichte fliegen kann. Verbunden mit den Ideen und Visionen von König Ludwig II. Deswegen greifen wir hier ein eher märchenhaftes Thema auf, das wir auch in der ersten Kulisse, nämlich der Bibliothek widerspiegeln.
Wie tragen die Kulissen zum VR-Erlebnis bei?
J.H.: Wir betreten bei allen TimeRides einen Raum oder auch zwei Räume, bevor es mit der VR-Fahrt los geht. Die Ausstellungsbereiche dienen dem Zweck, dass man sich der jeweiligen Geschichte oder der Epoche nähern kann. Die Besucher werden nicht mit Informationen überfrachtet, sondern können sie Station für Station aufnehmen.
In Berlin ist beispielsweise die geteilte Stadt das Thema. Wir haben hier ein Stück Mauer nachempfunden, in das Bildschirme eingelassen sind. Mit Kurzfilmen über West- und Ostberlin kann man sich dann langsam dem Thema nähern.
Speziell bei TimeRide München haben wir das Thema „Märchenbibliothek“ gewählt, weil wir damit auf Ludwig II. eingehen. Wir greifen auf, dass er schon als Kind viel gelesen hat. Schließlich kommt von ihm auch die Idee des Pfauenwagens, der überall in der Ausstellung zu sehen ist und auch später das virtuelle Fluggefährt ist. Das nutzen wir im „Magischen Geschichtsbuch“ – dieser kleine Film zeigt in Buchform einen kurzen Abriss der historischen Meilensteine auf bayerischem Boden.
„Im Bibliotheks-Film geht es darum, dass der Flug, der ja recht rasant ist und viele Stationen in schneller Abfolge beinhaltet, besser eingeordnet werden kann. Die Ereignisse werden in einen historischen Kontext gesetzt.“
Im VR-Film greifen wir in großen Sprüngen besondere Ereignisse auf: Wir fangen bei den ersten Siedlern an, gehen über die Zeit des Limes, der Kreuzzüge bis hin zur Geburtsstunde des ersten Oktoberfests. Somit dient die Bibliothek als Vorbereitung auf die VR-Experience, damit man sich besser vorstellen kann, was einen erwartet.
Mit der VR-Brille habe ich mich wirklich gefühlt, als würde ich hoch in den Lüften mit dem Pfauenwagen durch die Geschichte fliegen. Was war Ihnen beim Storytelling wichtig für ein richtig gutes VR-Erlebnis?
J.H.: Eine ganz wichtige Figur ist in München Georg-Aloisius Linnebach, unser fiktiver Reisebegleiter und Flugkapitän im Pfauenwagen, der die Zuschauer durch die VR-Tour führt. Uns war wichtig, dass wir bedeutende Wegmarken der bayerischen Geschichte heraussuchen, an die wir gut heranfahren oder sie überfliegen können.
Bei TimeRide München ist auch ein hoher Entertainmentfaktor dabei: Es soll einfach Spaß machen, über die Landschaften zu fliegen – über Kloster Andechs oder den Bamberger Dom und dabei auch Tiere und Menschen aus der Luft zu beobachten.
Während wir bei anderen TimeRides eine klar umgrenzte Epoche behandeln, umspannen wir bei TimeRide München einen Zeitraum von über 7.000 Jahren. Das macht natürlich die Entwicklung der Geschichte sehr anspruchsvoll. Wir können nur ganz kurz bei einer Station verweilen. Das macht aber nichts, denn wir wollen den Besuchern Lust darauf machen, rauszugehen und mehr über die Geschichte zu erfahren oder beispielsweise sogar nach Bamberg, Augsburg oder Regensburg zu reisen.
„Unser Ziel ist nicht die reine Wissensvermittlung, sondern wir freuen uns, wenn sich Besucher grundsätzlich für Geschichte begeistern und darüber miteinander ins Gespräch kommen.“
Was macht das TimeRide-VR-Erlebnis noch immersiver?
J.H.: Wir arbeiten bei allen TimeRides passend zur Story mit haptischen Feedback-Elementen. Das heißt, es kann Vibration sein wie in Köln. Hier sitzt man in einer Straßenbahn und hat das Gefühl, über die Gleise zu rattern. In München ist es zusätzlich der Fahrtwind, der einem mal sanfter, mal stärker entgegenpfeift. Wir arbeiten ganz intensiv mit Sinneswahrnehmungen. Das gehört für uns unbedingt dazu. In Frankfurt ist ein Kolonialwarenladen Teil der VR-Experience und da kann man auch riechen und probieren, damit die Fantasie noch stärker angeregt wird. Das können wir aber erst bei einer weiteren Lockerung der Corona-Auflagen wieder anbieten.
Während des Flugs hat mich die Darstellung der historischen Städte besonders beeindruckt. Auf was haben Sie bei der Gestaltung den Fokus gelegt und was waren die größten Herausforderungen?
J.H.: Im Grunde gibt es da zwei Ebenen. Erstmal haben wir grundsätzlich den Anspruch, Gebäude und Landschaften dem historischen Original entsprechend nachzubilden. Fest angestellte Historiker stellen unser Rechercheteam und beschaffen Quellenmaterial. Sie suchen zum Beispiel nach zeitgenössischen Zeichnungen, Modellen oder Beschreibungen, die dann dem Entwicklerteam als Grundlage dienen.
Die größte Herausforderung bleibt jedoch immer der spannende Prozess der Auswahl. Themenaspekte müssen gekürzt oder neu berücksichtigt werden. Das ist das Zusammenspiel aus Historikern, Autoren, Entwicklern und der Produktleitung, die überlegen: Wie bauen wir unsere Geschichte eigentlich auf?
„Bei TimeRide ist die große Herausforderung die Komprimierung von Inhalten: Was wollen wir erzählen, wie verdichten wir ein Thema, wie gestalten wir die Erzählgeschwindigkeit, wie schlagen wir unseren Spannungsbogen? “
Wird der Münchner TimeRide-Film noch weiterentwickelt?
Prinzipiell ist es denkbar. Man könnte im VR-Film Sequenzen erweitern. Das ist im Moment aber nicht geplant. Wir werden aber künftig in den Pfauenwagen im Foyer mobile VR-Brillen bereithalten und einen virtuellen Überflug über das heutige München anbieten. Der bereits aus der VR-Zeitreise bekannte Pfauenwagen dient dabei erneut als fantastisches Fluggefährt, das seine Gäste nun sanft über die Dächer der bayerischen Landeshauptstadt trägt.
Für mich persönlich war das VR-Erlebnis selbst sehr schnell vorbei. Welche Erfahrungen liegen dem Zugrunde, dass der Film „nur“ 17 Minuten lang ist?
J.H.: Es ist ja erstmal ein gutes Zeichen, dass Ihnen der Virtual-Reality-Flug „zu kurz“ vorgekommen ist. Auf die Länge zahlen verschiedenen Faktoren ein: Alle Timeride-Rundgänge sind so konzipiert, dass sie etwa 45 bis 60 Minuten dauern. Dieser Zeitrahmen ist für eine breite Zielgruppe spannend. Es ist kurzweilig und nicht zu lang, zum Beispiel können Touristen das Erlebnis so gut zwischendurch einplanen.
Was die Filmlänge betrifft: Die VR-Erfahrung selbst bietet unglaublich viele Eindrücke. Zum Beispiel für Kinder ist es viel, was auf sie einstürmt. Eine deutlich längere VR-Experience könnte schnell zu einer Überfrachtung führen. Wir möchten ja, dass unsere Besucher rausgehen und sagen, es war toll und das wollen wir nochmal machen. Der Spannungsbogen muss stimmen.
Das Münchner VR-Erlebnis enthält: über 23 Milliarden Polygone, 2,5 Millionen Bäume, über 80.000 Menschen, 15.000 Quadratkilometer Landschaft, über 20.000 Gebäude …
Der Besuch bei TimeRide München war für mich ein sehr unterhaltsames Erlebnis – wenn auch ohne große geschichtliche Tiefe. An wen richtet sich Ihr Angebot?
J.H.: Wir haben eine sehr breite Zielgruppe von 6 bis 99 Jahren – nach oben offen. Wir richten uns einerseits an die einheimische, lokale Bevölkerung, die einen neuen Blick auf ihre eigene Stadt oder Region bekommen möchte. Natürlich immer auch an Touristen und an auswärtige Gäste Das können deutsche Touristen sein, aber auch aus dem Ausland. Deshalb bieten wir alle TimeRide-Touren auch in Englisch an.
TimeRide ist auch ein tolles Angebot für Familien mit Kindern, weil das Programm sehr abwechslungsreich und leicht zugänglich ist. Wir wecken Interesse für Geschichte, und im besten Fall hat eine Familie mit Kindern nach einem TimeRide-Besuch vielleicht Lust, auch noch ins Stadtmuseum zu gehen.
„Wir verfolgen nicht den Anspruch, ein möglichst umfangreiches historisches Wissen zu vermitteln. Wir möchten vielmehr die Neugier für geschichtliche Themen wecken und vor allen Dingen wollen wir für unsere Besucher ein emotionales Erlebnis schaffen. TimeRide bietet damit einen individuellen und auch sehr innovativen Umgang mit Geschichte an.“
Zu uns kommen auch Besucher, die sich das VR-Erlebnis aus dem technischen Blickwinkel ansehen wollen. Und bei TimeRide Köln haben wir zum Beispiel sehr viele ältere Gäste, die vielleicht auch ein bisschen von einem Nostalgie-Gefühl getrieben werden: Wie sah denn Köln früher aus? Die Stadt ist ja im Krieg sehr stark zerstört worden. Im VR-Film fährt man mit einer Tram durchs alte Köln um 1900 und kann so die Domstadt noch einmal neu entdecken.
TimeRide Berlin mit dem Thema „Innerdeutsche Teilung“ ist wiederum ein sehr beliebtes Ziel für Schulklassen und für viele internationale Touristen.
Spielen Sie durch die Figur von König Ludwig II. mit dem Bayern-Klischée?
J.H.: Wir haben König Ludwig II. aus verschiedenen Gründen für unsere Geschichte ausgewählt. Ob nun Klischée-beladen oder nicht: Er ist einfach eine Symbolfigur und fast jeder Gast kann mit König Ludwig II. etwas anfangen. Sei es aus Bayern oder aus dem Ausland. Ludwig II. war zudem eine Persönlichkeit, die viele kreative Ideen hatte – wie zum Beispiel den fliegendne Pfauenwagen. Und TimeRide ist ja auch ein Unternehmen, das neue Geschichten entwickelt und mit Zeitreisen neue Welten erföffnet. Deswegen passt Ludwig II. einfach sehr gut zu uns
Da kann ich unseren Gründer und Geschäftsführer Jonas Rothe zitieren, der immer sagt: „Wenn wir es schaffen, mit unseren TimeRides Menschen ins Gespräch miteinander zu bringen, sodass sie diskutieren und Geschichte reflektieren – dann haben wir schon viel erreicht.“
Vielen Dank, Julian Herbig, für das unterhaltsame Interview.
Julian Herbig interessierte sich schon immer für Geschichte. Er hat Geschichte studiert, war Reiseleiter, Redakteur und Content Marketing Manager. Seit September 2019 verstärkt er das Team von TimeRide als PR & Communication Manager.
Infos
TimeRide wurde 2016 von dem Dresdner Jonas Rothe in München gegründet. Erster Standort war Köln. Danach öffneten in schneller Folge neue TimeRides in Dresden, Berlin, München und Frankfurt.
Weitere TimeRides befinden sich in der Planung. Über 400.000 Besucher haben TimeRide seit der Gründung besucht.
www.timeride.de
TimeRide München
Tal 21, 80331 München
www.timeride.de/muenchen/
Einen interessanten Podcast über TimeRide gibts im Storytelling-Podcast „konstantin georgiou – storypendler“ von und mit Konstantin Georgiou, Stephan Greitemeier und Pola Weiß.
September 2020: GetYourGuide hat TimeRide München unter die 5 „Besten Familienerlebnisse“ in Deutschland gewählt und mit dem GetYourGuide Award ausgezeichnet.
[Bilder in diesem Beitrag aus dem VR-Film: ©TimeRide]
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