Konsumkritische Fotokunst von Gregg Segal

 
Thank you for the inspiration! Hommage an Gregg Segals „Seven Days of Garbage“. Susanne, 2019.

Thank you for the inspiration! Hommage an Gregg Segals „Seven Days of Garbage“. Susanne, 2019.

Der Mensch und sein Müll

Mit seinem Fotoprojekt „7 Days of Garbage“ erzählt der US-Amerikaner Gregg Segal eine eindringliche Geschichte unseres Konsumverhaltens. Er inszeniert Menschen inmitten ihres – in nur einer Woche produzierten – Abfalls. [von Susanne Wagner]

Segal entlarvt damit auf sehr plakative Weise eine weit verbreitete Verhaltenslücke: Klima und Umweltschutz genießen bei den meisten von uns einen hohen Stellenwert. Gleichzeitig gelingt es uns häufig nicht, diese Einstellung im Alltag konsequent zu leben. Wachgerüttelt von den Aufnahmen begann ich meinen Wochenabfall zu sammeln und war überrascht vom Ergebnis.

Cass (©Gregg Segal)

Cass (©Gregg Segal)

Joya, Santiniketan, Rabindranath, Chandramohan, Ben, Bodhisattva, und Omjabarindra (©Gregg Segal)

Joya, Santiniketan, Rabindranath, Chandramohan, Ben, Bodhisattva, und Omjabarindra (©Gregg Segal)

Andy (©Gregg Segal)

Andy (©Gregg Segal)

Till und Nicholas (©Gregg Segal)

Till und Nicholas (©Gregg Segal)

Bewusstsein schaffen für Klimaschutz

Zum ersten Mal bin ich auf die Fotos von Gregg Segal aus der Serie „7 Days of Garbage“ Ende 2017 im Süddeutsche-Zeitung-Magazin aufmerksam geworden. Zwei seiner Bilder mit Menschen posierend in Verpackungsmüll dienten als Illustration für einen Artikel zum Klimawandel. Mehr als der Text fesselten mich diese Fotografien. Ich riss die Blätter heraus und legte sie zur Seite. 

Die aktuellen „Fridays for Future“-Demonstrationen für den Klimaschutz erinnerten mich wieder an die Bilder von Gregg Segal. Er hat beschlossen, bei sich selbst anzufangen und inspiriert mit seinen Bildergeschichten andere, kleine Schritte gegen den Verpackungswahn zu unternehmen. Oder zumindest, ein Bewusstsein dafür und für die Umwelt zu entwickeln. Mit seinem Projekt „7 Days of Garbage“ porträtiert Segal seit 2014 Familie, Freunde, Fremde und lässt sie so hautnah erleben, was Müll produzieren bedeutet. Und natürlich hat es auch auf den Betrachter einen wachrüttelnden Effekt.

„Ich habe meine Familie fotografiert, weil ich wollte, dass mein achtjähriger Sohn versteht, dass wir genauso zum Problem beitragen.“   Gregg Segal

7 Days of Garbage im Selbstversuch

Jetzt wollte ich es genau wissen: Wie viel Recycling-Abfall entsteht in meinem Zweipersonenhaushalt innerhalb einer Woche? Und so begann ich, meinen 7-Tages-Müll in einen großen Karton zu packen. Außerdem wollte ich den kompletten „7 Days of Garbage“-Effekt erleben. Deshalb verteilte ich alles draußen im Schnee und legte mich mitten in meinen Verpackungsmüll – eine Foto-Hommage an Gregg Segal (siehe Foto oben).

Mich selbst machte es sehr nachdenklich, den eigenen Müll zu sammeln. Zu sehen, wie viel anfällt, obwohl ich schon beim Einkaufen auf Müllvermeidung achte. Seitdem wähle ich die Produkte noch bewusster aus.

„Ich habe die Motive für die Bilder in meinem Garten in Altadena, Kalifornien, erstellt: Wasser, Wald, Strand und Schnee. Müll ist allgegenwärtig; keine Umgebung ist unberührt.“   Gregg Segal 

Fazit

Projekte wie „7 Days of Garbage“ sind wichtig, weil sie uns auf sehr anschauliche Weise den Spiegel vorhalten. Aber nicht nur wir, die Verbraucher, sollten uns von Gregg Segal angesprochen fühlen und unsere Bequemlichkeit überwinden. Auch Politik und Industrie müssen nach Wegen suchen, die Abfallflut einzudämmen. Stimmt, das ist keine Neuigkeit. Umso mehr gilt: Es ist allerhöchste Zeit.


Gregg Segal studierte Fotografie und Film am California Institute of the Arts. Segal erhielt für seine Fotografien Auszeichnungen von American Photography, Communication Arts, PDN, Investigative Reporters and Editors, dem New York Press Club, der Society of Publication Designers. Außerdem war er Finalist des Magnum Photography Awards 2017. Segals Porträt- und Fotoessays wurden unter anderem in Time, GEO, The Independent, Monde, Stern, Fortune, National Geographic Adventure und Wired gezeigt. Zudem sind seine Bilder immer wieder in Ausstellungen zu sehen – so auch 2018 im Rahmen des Umweltfotofestivals Zingst. Gregg Segal lebt mit seiner Frau, seinem Sohn und seinem Hund in Altadena, Kalifornien. www.greggsegal.com


Du bist was du isst

Beim Fotografieren betrachtete Gregg Segal den Müll genauer und dachte über die Essgewohnheiten der Leute nach. Daraus entwickelte sich ein weiteres außergewöhnliches Projekt: „Daily Bread“. Der Fotograf konzentriert sich auf Kinder, weil die Essgewohnheiten meist in der Jugend geprägt werden. Nicht nur in den USA wächst die Belastung von Kindern mit Erkrankungen wie Übergewicht oder Diabetes. Dabei gibt es weltweit durchaus gesunde und ausgewogene Ernährungsweisen, die Segal ebenso dokumentiert wie die US-Amerikanischen. Er möchte mit seinen Bildern wachrütteln und aufklären. Er plant einen Bildband, in dem die internationalen Porträts von Rezepten und fachlichen Kommentaren begleitet werden. 


Update Juni 2019

Gregg Segals Buch „Daily Bread: What Kids Eat Around the World“ ist seit dem 4. Juni 2019 im Buchhandel erhältlich.

„Daily Bread: What Kids Eat Around the World“
Gregg Segal
Contribution by Bee Wilson
Powerhouse Books, New York
120 Seiten
ca. 40 US-Dollar
ISBN: 9781576879115


Update Februar 2020: Gregg Segal setzt sich für Flüchtlinge ein

Mit „Daily Bread“ konzentrierte sich Segal in erster Linie auf die Auswirkungen der Globalisierung auf die Ernährung der Welt. Jetzt erzählt er mit „Un-daily Bread“ die Geschichten derer, die nicht genug zu essen bekommen.

Angesichts einer zunehmend getrübten wirtschaftlichen und politischen Situation in Venezuela verlassen die Menschen seit 2014 massenhaft ihr Land. Nach Schätzungen des UNHCR ist die Zahl der Venezolaner, die den Flüchtlingsstatus beantragen, in den letzten fünf Jahren um 8000 Prozent gestiegen, was dazu geführt hat, dass heute vier Millionen Menschen im Ausland leben. Zusammen mit der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen, will der Fotograf auf die schwierige Situation dieser Menschen aufmerksam machen.

„Ich habe nicht nur fotografiert, was die Kinder und Mütter auf ihren Reisen gegessen haben, sondern auch, was sie von zu Hause mitgenommen haben. Das macht deutlich, wie wenig die Flüchtlinge aus ihrem vorherigen Leben bewahren können.“ Gregg Segal

Nathalia Rodríguez, 9 Jahre alt. Fotografiert am 27. September 2019 in Bogotá, Kolumbien.

Nathalia Rodríguez, 9 Jahre alt. Fotografiert am 27. September 2019 in Bogotá, Kolumbien.

Aleska, Arianny und Lucas. Fotografiert am 27. September 2019 in Bogotá, Kolumbien.

Aleska, Arianny und Lucas. Fotografiert am 27. September 2019 in Bogotá, Kolumbien.

„Un-daily Bread“ steht aber auch stellvertretend für Regionen auf der ganzen Welt, wo Menschen aus ihrer Heimat fliehen, weil sie dort nicht überleben können. Bei der Flucht lassen sie fast alle persönlichen Dinge zurück – für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. An manche Details aus den Gesprächen mit den Venezolanischen Flüchtlingen denkt Gregg Segal immer wieder: Zum Beispiel an Nathalia, das Mädchen, das seit mehr als drei Jahren keinen Apfel gegessen hatte, weil ein einziger Apfel 5.000 Boliviano (zu der Zeit etwa 10 Euro) kostete. Oder der Junge, der nach dem Shooting einen Laib Brot unter seinem Arm herumtrug, weil er keinen Hunger mehr verspüren wollte …

Mit Segals Fotoserie „Un-daily Bread“ sammelt ACNUR Spenden, um Flüchtlinge aus Venezuela medizinisch zu versorgen und zu untersuchen.

Ein aktuelles Interview mit Gregg Segal über Un-daily Bread gibt es bei My Modern Met (in Englisch).

Ich bin gespannt auf Gregg Segals nächstes Projekt.

 

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